30.04.2021 – Superzelle im Alpenvorland

30.04.2021 – Superzelle im Alpenvorland

30.04.2021 – „Frühjahrs – Superzelle“ in Oberbayern

 

30.04.2021 – ein denkwürdiges Datum. Wer hätte gedacht, dass bei knapp 20 °C und Taupunkten von nicht einmal 10 °C eine langlebige Superzelle mit bis zu 4 cm Hagel möglich ist.

1. Synoptik

Österreich lag Ende April an einer Luftmassengrenze. Eine sehr barokline Zone mit zahlreichen Bodentiefs. In der relativen Topografie sieht man auch viele kleine Wellen eingelagert, die immer wieder für PVA-Felder sorgen. Grundsätzlich also eine turbulente Wetterlage mit großen Gegensätzen und jeder Menge Potenzial für Hebung.

Man beachte auch, wie dicht gedrängt die Isohypsen über Europa sind – der Jetstream verläuft quer über den Kontinent. In der Tat ergab sich an diesem Tag eine ausgesprochen gute Windscherung. Das sehen wir uns anhand des Radiosondenaufstiegs von München um 12z an.

30.04 Wind

Der Jet kommt mit mehr als 50 kn aus Südwest, darunter dreht der Wind allmählich zyklonal auf Süd-Südwest, Südost bis schließlich Ost am Boden. Eine solche Drehung des Windes (man beachte auch den Hodographen) ist sehr günstig für die Bildung von rotierenden Aufwinden bei Gewittern – falls sich welche bilden. Und das war die große Frage. Die Dynamik war jedenfalls da – und das sehr ausgeprägt. Bulk shear 0-8 km über 30 m/s – das ist mal eine Ansage!

Was es noch brauchte: Energie und Hebung.

Für die Energie bzw. Instabilität schauen wir uns natürlich CAPE an. Und da zeigten die Globalmodelle (EZ und GFS) wenig bis quasi gar keine Energie. Auch das Münchner Sounding weiste nur Werte im einstelligen Bereich auf – kein Wunder bei der Inversion auf 850 hPa.

Hochaufgelöste Modelle wie Kachelmann’s SuperHD berechneten schon deutlich mehr, direkt am Alpenrand sogar über 500 J/kg.

Auch die Äquivalentpotentielle Temperatur gab einen Hinweis auf etwas Potenzial:

Was diese Karte auch gleich zeigt, ist ein Leetief an der Alpennordseite, bedingt durch die föhnige Südwestströmung.

2. Nowcasting

Der Föhn war nicht stark genug, um die Luft signifikant aufzutrocknen. Aber kräftig genug für Wolkenauflösung nördlich der Alpen. Die Sonne konnte also stundenlang ungehindert den Boden aufheizen, der vertikale Temperaturgradient verstärkte sich.
Gleichzeitig verschärften sich auch die Gegensätze an der Luftmassengrenze. Wir sehen sie hier gut an dem dichten Wolkenband über Südwest-Deutschland.

Damit konnte sich auch in der Horizontalen ein starker Temperaturgradient bilden – ebenfalls ein günstiger Faktor für Gewitter. Energie war also zumindest in Maßen durchaus gegeben.
Dass diese Energie jetzt umgesetzt wird und die gute Windscherung greifen kann, braucht es Hebung. Sehr potent dafür sind Konvergenzen. Man beachte, wie zu Mittag an der Luftmassengrenze Ost- und Westwind im Bereich der Schwäbischen Alb direkt aufeinanderprallen:

Die Konvergenz verlagerte sich im Laufe des Nachmittags Richtung Osten. Und dann ging alles sehr schnell. Um 15 Uhr bildeten sich erste dichte Quellwolken, am Bodensee wurde sogar der erste Blitz registriert. Die Konvergenz begann zu werkeln.

Unsere Superzelle nahm ihren Ausgangspunkt um 15:45 in Kempten/Allgäu.

30 Minuten später war die Radarreflektivität bereits sehr heftig, und deutete schon auf ein organisiertes Gewitter hin. Außerdem konnte sich die Zelle bald gegen die Regenschauer rundherum durchsetzen und als Einzelzelle die gesamte Energie aufbrauchen.

Ungefähr zu der Zeit bestätigten erste Webcams (Nesselwang – Quelle: Panomax) schon die organisierte Struktur mit dem Ansatz einer Wallcloud.

Spätestens da wusste ich, dass ich es versuchen muss und machte mich auf den Weg Richtung Westen.

3. Chasing

Der mächtige Amboss war bereits von Weitem zu sehen. Am Chiemsee legte ich einen kurzen Stopp für ein Foto ein.

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Da musste ich aber näher ran. Südlich von Rosenheim angekommen, hatte ich freie Sicht auf das System, das gerade am Alpenrand entlangschrammte.

Man erkannte schon gut, wie die gesamte Zelle rotierte. Aber sie war noch recht hochbasig. Nicht unbedingt das, worauf ich gehofft habe, aber trotzdem fotogen. Und für Ende April allerhand!

Zu dem Zeitpunkt zeigte sich die Superzelle am Radar mit einem großen heftigen Kern. Der Amboss war mittlerweile riesig und bedeckte weite Teile Oberbayerns.

Die Blitzaktivität war jedenfalls ordentlich, CG-Blitze waren aber nur vereinzelt dabei – was bei der nicht allzu feuchten Grundschicht so zu erwarten war.

Es war Zeit für einen Standortwechsel. Über die A8 war es sehr einfach, noch einmal davonzufahren. Am südöstlichen Ufer des Chiemsees konnte ich diese schon beeindruckenderen Strukturen aufnehmen:

Mustergültig die Trennung von Ab- und Aufwindbereich. Und letzterer formierte sich immer schöner, mehrere Stockwerke bildeten sich aus. Das Gewitter hatte einen grünlichen Schimmer, war vollgeladen mit Hagel. Das sieht man auch am Radarbild, ein großer Bereich höchster Reflektivität – wirklich beeindruckend. Die Superzelle trat in ihre intensivste Phase ein.

Bemerkenswert fand ich auch den RFD. Er war hinter Meso langgezogen verbunden mit dem FFD.

Also schon daraus ließ sich ein Hakenecho vermuten. Und das bestätigt auch der Blick aufs hochauflösende Radarbild von Kachelmannwetter.

Wirklich beeindruckend, wie sich der rückseitige Abwind um die Mesozyklone herumwickelt.
Ich war also an einer Bilderbuch-Superzelle dran. Ein Stück weiter östlich bei Neukirchen hat sich das dann einmal mehr eindrucksvoll bestätigt:

Unter der breiten, mehrstöckigen Aufwindbasis hatte sich jetzt eine tiefhängende Wallcloud gebildet. Fracten berührten quasi den Boden und hätten auch mit einem Tornado verwechselt werden können. Aber selbst so einen konnte man zu dem Zeitpunkt nicht mehr ausschließen. Das Hook Echo war noch immer ausgeprägt, zu dem Zeitpunkt war der RFD aber schon deutlich enger am Hauptteil der Superzelle, die Mesozyklone war hier sehr kompakt:

Man beachte die tiefhängenden Strukturen südlich (links) der Fracten. Eine verdächtige Absenkung genau dort, wo man einen Tornado vermuten würde – allmählich vom RFD eingehüllt.

Jedenfalls war das Ganze richtig heftig am Rotieren. Aber schön langsam wurde die Struktur verwaschener, am Ende des vorherigen Zeitraffers sieht man, wie Regen den Aufwindbereich durchstößt. Die Zelle wurde also abwinddominant. Und damit war das Ende der Superzelle besiegelt.

An der Grenze zu Österreich angekommen,war es nur mehr eine Gewitterlinie. Der Outflow eilte voraus und machte einen rotierenden Aufwind unmöglich. Das System zog aber zumindest mit ordentlicher Blitzaktivität und Starkregen noch bis in den oberösterreichischen Zentralraum.

4. Fazit

Wir sehen also, dass CAPE nicht alles ist. Natürlich, bei CAPE=0 geht nichts. Aber selbst bei wenigen Hundert J/kg ist viel möglich. Allerdings nur bei einer optimalen dynamischen Komponente. Und mit einem Hebungsmechanismus, der an diesem Tag massiv gewesen sein muss. Die Zelle dürfte genau im Zentrum des Bodentiefs gelegen haben. Das zeigen auch die Messwerte, der Wind strömte großräumig in zyklonaler Richtung um die Superzelle (nahe Salzburg).

Dadurch wurde die gesamte Energie im Alpenvorland angesaugt und verwertet. Auch die Luftdruckwerte bestätigen das. Die Luft strömte aus allen Richtungen zusammen und musste aufsteigen. Auch die Berge an der Südflanke trugen bestimmt ihren Teil an der Hebung bei.

An diesem Nachmittag hat also alles zusammengepasst. Auch muss man sagen, dass die Zelle über weite Strecken sehr isoliert bleiben konnte. Bei vergleichbaren Lagen war es meist so, dass eine Superzelle bald Konkurrenz aus Süden bekam: Gewitter bildeten sich typischerweise in den Nordalpen, schnitten der Alpenrand-Zelle die Energiezufuhr ab und verschmolzen zu einer Gewitterlinie oder einem Cluster. Das war an diesem Tag nicht so, wahrscheinlich aufgrund der mangelnden Energie in den Nordalpen und/oder des Föhns.

Eine gute Gewitterlage ist also häufig ein Ritt auf Messers Schneide. Ein kleines Detail reicht oft aus und die Superzelle geht bald wieder ein oder bildet sich erst gar nicht. Es war ein fragiles Gleichgewicht zwischen ausreichend Energie, konzentrierter Hebung und idealer Windscherung.

Von daher können wir aus der Gewitterlage am 30.04.2021 enorm viele Lehren ziehen. Bleibt abzuwarten, ob sich in diesem Sommer noch eine vergleichbare Konstellation ergibt. Dann wird es spannend zu analysieren, wo die Unterschiede liegen und wie sich diese auswirken. Ich traue mich fast wetten, bei mehr Energie hätte es gerüsselt 😉

Abschließend nochmals den gesamten Radarverlauf in zwei Varianten.

Die Highlights habe ich in meinem YouTube-Video zusammengefasst:

 

Quellen:

 

Radarbilder (DWD) & Stationsdaten (ZAMG/DWD) von https://kachelmannwetter.com

GFS Analysekarten von http://www1.wetter3.de und wetterzentrale.de

Weitere Modellkarten UBIMET

Radiosondenaufstieg von http://www.rawinsonde.com/